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spinnen-2012

BUZ: Autor Burkhard Spinnen im angeregten Podiumsgespräch mit dem Beirat des Kissinger Kunst- und Kulturkreises für Lesungen, Peter Rottmann anlässlich von Spinnens Lesung aus seinem neuen Roman ‚Nevena‘

Als geradezu ideal für den Austragungsort Mensa des Jack-Steinberger-Gymnasiums betrachteten die Veranstalter der diesjährigen Herbstlesung des Kissinger Kunst- und Kulturkreises das diesmal vorgestellte Buch. In ‚Nevena‘ von Burkhard Spinnen ein 17-jähriger Schüler im Mittelpunkt, für den die Schule allerdings nicht das Problem ist, sondern das traumatische Erleben des langsamen Sterbens seiner Mutter ein Jahr vorher, bei dem er und sein Vater sie in ihrem Haus gepflegt hatten. Nach ihrem Tod ziehen sich Vater und Sohn in ihre jeweiligen Welten zurück, Vater Henner in die des Kunstrestaurators, Sohn Patrick in ein interaktives Computerspiel, bei dem er die Serbin Nevena kennengelernt hat. Über die Distanz von 1200 Kilometern verliebt er sich in sie, was er seinem Vater allerdings erst gesteht, als Nevena plötzlich aus dem Internet verschwindet, der stetige Strom von Emails zwischen den beiden abreißt und Patrick verzweifelt ist vor Liebeskummer, Sorge und der Angst, es könne sich bei seiner virtuellen Liebe ja auch um eine große Täuschung gehandelt haben. Zum größten Erstaunen des Sohnes stellt Henner seine eigenen Zweifel hintan und macht sich mit ihm in dem von der Mutter hinterlassenen uralten Wohnmobil auf den Weg ins ehemalige Jugoslawien. Dort führt sie ihre Suche von Triest über Opatija nach Mostar und spätestens hier wird aus der Vater-Sohn-Geschichte und dem Road-Movie ein handfester Krimi. Den erzählt Burkhard Spinnen mit seinem enormen handwerklichen Geschick und Wissen um die Tricks und Kniffs des Genres bis hin zu einem atemberaubenden Showdown. So ganz nebenbei erfährt der Leser, wie das ehemalige Jugoslawien, wie Bosnien, wie Mostar, dessen im Bürgerkrieg zerstörte weltberühmte Brücke zu einer Negativ-Ikone des Kriegs geworden war, heute aussehen und erkennt, dass unser Wissen über diesen einst im Zentrum des Medieninteresse stehenden Teil Europas gleich null ist. Nach Jahrzehnten der Nabelschau und endlosen Variationen des Beziehungskistenschemas schafft Spinnen damit etwas, was auch deutsche Leser heutzutage eher in der angelsächsischen Prosaproduktion suchen: Welthaltigkeit und Spannung.

Natürlich geschieht das umso eindringlicher, wenn ein Autor seinen Text selbst vorstellt und ihn – in wohlgewählten Auszügen – vorliest. Das tat Spinnen unprätentiös und gerade deshalb sehr eindringlich. Was aber durch eigene Lektüre oder ein Hörbuch nicht zu ersetzen ist, ist die direkte Kommunikation mit dem Autor, die eine solche Lesung bietet und die an diesem Abend fast die Hälfte der Veranstaltung in Anspruch nahm.

Dass Spinnen sich in Bad Kissingen als ein solch freimütig über seine Arbeit, seine Anregungen, seinen Schreibanlass plaudernder Autor zeigen konnte, lag an drei Glücksfällen. Zum einen ist der ‚Rote Salon‘, die Mensa des JSG, ein Raum, bei dem die Autoren dicht an ihr Publikum heranrücken können, in dem sie – wie an diesem Abend - ohne das bereitgestellte Mikrophon kommunizieren können. Zum zweiten hat die Lesungsreihe in Peter Rottmann, dem Beirat des Kissinger Kunst- und Kulturkreises für Lesungen, auch nach seiner Wegberufung als Lehrer im JSG zum Schulleiter des Bayernkollegs in Schweinfurt einen überaus kompetenten, belesenen, schlagfertigen Moderator. Und zum dritten ließ sich der Autor mit ihm gerne auf ein freimütiges Podiumsgespräch über ganz persönliche Dinge wie etwa die Rolle, die sein Sohn Caspar beim Schreiben dieses Romans spielte, oder über Burkhard Spinnens so ganz offizielle jahrelange Jurorentätigkeit beim renommierten Klagenfurter Literaturpreis ein.

An dem vom Bibliotheksbetreuer Michael Bohl vom Jack-Steinberger-Gymnasium und den Mitgliedern seiner Arbeitsgemeinschaft Bibliothek betreuten Büchertisch der Buchhandlung Reinisch konnten die Leseinteressierten sich noch über zwei weitere Texte Spinnens, ‚Mehrkampf‘ über die Lebenskrise eines seinen eigenen und den gesellschaftlichen Erwartungen nicht mehr entsprechenden Sportlers, und ‚Müller hoch drei‘, ein Jugendroman, in dem die Eltern eines verwöhnten 14-jährigen Einzelkindes diesem die Trennung ankündigen – von ihm, denn sie wollen endlich ihre Beziehung leben und deshalb auf Weltreise gehen, ihr Kind aber dazu zwingen, nun einmal selbst Verantwortung zu übernehmen und sein Leben in die Hand zu nehmen, informieren.